Zeit für Philosophie

23 02 2009

„Das Beefsteak gehört zur selben Blutmythologie wie der Wein. Es ist das Herz des Fleisches, das Fleisch im Reinzustand, und wer es zu sich nimmt, assimiliert die Kräfte des Rindes. Ganz offenkundig beruht das Prestige des Beefsteaks aus feinem fast rohen Zustand: das Blut ist sichtbar, natürlich, dicht, kompakt und zugleich schneidbar. Man kann sich das antike Ambrosia gut von einer solchen Art schwerer Materie vorstellen, die unter den Zähnen sich auf eine Weise mindert, daß man zugleich seine ursprüngliche Kraft und seine Fähigkeit zur Verwandlung und zum Sichergießen in das Blut des Menschen spürt. Das Bluthafte ist der Daseinsgrund des Beefsteaks, die verschiedenen Grade seiner Gebratenheit werden nicht in Kalorieneinheiten ausgedrückt, sondern in Bildern des Blutes: das Beefsteak ist saignant (blutend) (es erinnert dann an den Blutstrom aus den Arterien des getöteten Tieres) oder bleu (blau) (hier wird auf das schwere Blut der Venen verwiesen, und zwar durch das Violett, den Superlativ des Rots). Die Gebratenheit, auch die nur vorsichtige, kann nicht rundheraus ausgedrückt werden, für diesen widernatürlichen Zustand bedarf es eines Euphemismus: man sagt, daß das Beefsteak à point ist (wörtlich: auf dem Punkt, genau richtig), was eigetnlich mehr eine Grenze angeben heißt als einen abgeschlossenen Zustand.
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Barthes, Roland, (1964): Beefsteak und Pommes Frites. In: Mythen des Alltags. Frankfurt: Suhrkamp, S. 36-39